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Auszüge aus lebensgeschichtlichen Interviews: Schule GSSD Nr.19, Luth. Wittenberg mit Erlaubnis von Alla Emeljanowa
Tschubakow Alexej Bei uns war damals ( im Jahre 1991, 7 Klasse) üblich sich im Rahmen des „All- tagsaustauschs“ mit deutschen Gleichaltri- gen gegenseitig zu besuchen. So waren wir öfters in der Schule „August Bebel“ und die Schüler dieser Schule bei uns. Dabei musste man „unbedingt“ was mit- bringen, als Geschenk. Beim Betreten des Klassenraumes suchte sich jeder einen beliebigen Schüler aus, mit dem man dann die ganze Zeit des Schulbesuches zusam- men war. Du hast ihm dein Souvenir geschenkt, und er dir seins. Wir, Jungs, haben uns immer den Partner nach der Größe des Geschenks ausgesucht. Ich weiß noch, wie ich es nicht „geschafft“ hab, mir einen Jungen zu „schnappen“, der auf sei- nem Tisch ein riesiges Spielzeugauto
stehen hatte. Das bekam mein Freund. Ich habe meinem Partner einen Salzstreuer geschenkt, und er mir einen Luftballon, wo eine ganze Menge verschiedenster Süßig- keiten drin war, das war ... so wunder- schön gestaltet, ... das sah einfach sehr gut aus! Bei uns gab's mal einen Vorfall. Ein Junge wusste nicht, was er schenken sollte, weil seine Eltern gerade nicht zu Hause waren. Von daher hat er sein Pionierhalstuch ver- schenkt. Das gab einen Riesenärger... Dabei schenkten uns die deutschen Schü- ler ihre blauen Boyscout-Halstücher. Schade, dass ich meins dann irgendwann versiebt habe! Solche Freundschaften gab's damals bei uns mit deutschen Schülern! Das war eine schöne Zeit!
Beresan Alex In unserer Zeit (67-72) gab's noch keine privaten Beziehungen. Unter Offizieren wurden sie nicht gerade gefördert. Von daher gab's verschiedene Politabteilungen, die dafür sorgten, dass es solche Beziehungen nicht gab. Das rührte aus den Zeiten des Stalinterrors her, als Kontakte mit Ausländern als Heimat- verrat interpretiert wurden. Mit Kindern war alles einfacher. Formale Beziehungen gab's immer. Irgendwelche gemeinsamen Veranstaltungen, größten- teils sportliche Feste u s.w. Im Pionierlager haben wir öfters zusammen mit deutschen Kindern Fußball oder Volleyball gespielt. In einem deutschen Pionierlager habe ich das erste Mal in meinem Leben Bowling gespielt. Und in einem internationalen Pionierlager „Rosa Luxemburg“ gab's Freundschafts- treffen mit deutschen Pionieren, die eigentlich keine Deutschen waren, son- dern, wenn ich mich nicht irre, ethnische Serben, die in dem Ort wohnten. Jedenfalls waren sie Slawen und haben ähnliche Sprache wie wir gesprochen. An die privaten Beziehungen kann ich
mich nicht erinnern. Neben unserem Kontrollpunkt (die Kreu- zung Thomas Münzer Strasse und Tel- mannstrasse) spielten öfters deutsche Kinder aus dem Nachbarhaus. Wir wech- selten ab und zu ein paar Worte mit ein- ander, mehr war da nicht drin. Im Jahre 1973 wohnte ich schon in Pots- dam. Mit 15 wollte man schon sein eige- nes Taschengeld verdienen. So haben wir bei der Erntehilfe mitgemacht. Zusammen mit deutschen Schülern. Einmal haben ich und mein Kumpel den Zug verpasst. Und zwei deutsche Mädchen, die mit uns arbeiteten, auch. Und als Leidensgefährten haben wir schnell gemeinsame Sprache gefunden. Wir sind dann im Park spazieren gegangen, und so verbrachten wir fast den ganzen Tag zusammen. Beim Abschied hat mir das Mädchen, das ich kennen gelernt habe, eine Kette mit Anhänger geschenkt, und ich ihr eine Kette mit Medaillon mit Prägung des Denkmals der Völkerschlacht in Leipzig. Und noch in einer Woche bin ich nach UdSSR abgereist, für immer, wie man damals dachte. Wir haben uns nie wieder gesehen.
Kalnik Alex Ich weiß noch, dass meine Eltern deutsche Freunde hatten. Unser Städtchen wurde umzäunt, und die Kinder durften nicht raus. Wir sind aber doch regelmäßig über den Zaun abge- hauen, und dann zum See. Direkt hinter unserem Zaun wohnte eine deutsche Familie. Sie hatten in ihrem Garten schöne Blumen. Wir, Jungs, haben uns öfters mit dem alten Mann unterhalten. Es gab dann mal ein Fest, und wir haben ihn gebeten, uns ein paar Blumen zu geben. Er hat dann jedem von uns einen kleinen Strauss aus Tulpen geschenkt ?. Aus UdSSR versuchten wir immer schöne Souvenirs mitzubringen, da wir regelmäßig Freundschaftstreffen hatten. Auf solch
einem Treffen haben ich und mein Partner unsere Pionierhalstücher ausgetauscht. Und es gab kein Ärger! Das Halstuch habe ich heute noch. Ich werde es nie vergessen, wie herzlich und mit welcher menschlichen Wärme deutsche Ärzte aus der Nachbarklinik mich aufnahmen, als ich zu ihnen mit einer Ver- letzung eingewiesen wurde. Überall, wo wir waren, waren die Leute ausgesprochen freundlich zu uns! Das waren die besten Jahre meiner Kind- heit. Nach der Rückkehr in die UdSSR war ich sogar eine bestimmte Zeit lang von meinem Land und von meinen Landsleuten enttäuscht, aber das ist schon eine andere Geschichte.
Irina Smirnowa Wir wohnten (73-76) in einem Haus am Zaun, der deutsches Territorium von unserem trennte. Drüben stand ein Häuschen, wo Deutsche wohnten. Es gab Ostern. Ich und meine Mutter standen am Fenster und beobach- teten, wie deutsche Kinder Geschenke und Ostereier suchten, die ihre Großeltern für
sie liebevoll vorbereitet und im Garten versteckt hatten. Das war völlig neu für uns. Diese Art, Ostern zu feiern. Dann beschlossen wir ihnen von unserer Seite auch was zu schenken. Wir hatten eine Matreschka. Da haben wir Konfekt reinge- packt, wieder zugemacht und über den Zaun geworfen. Die Kinder haben sich gefreut.
Wladimir Ermakow Wir trafen uns auch mit deutschen Schü- lern, das war aber, als wir Pioniere waren, in älteren Klassen nicht mehr. Ich kann mich noch gut an eine Geschichte erin- nern. Unsere Freundschaftstreffen hat immer eine deutsche Lehrerin organisiert, sie sprach gut Russisch, war sehr nett und freundlich. Später, das war im Jahre 1968,
auf einem Treffen mit dem Kommandeur einer Garnison (solche Veranstaltungen gab's auch) hat uns der Leiter der Son- derabteilung erzählt, dass sie verhaftet wurde, sie solle Agent des westlichen Spi- onagedienstes gewesen sein. Ich konnte nicht richtig daran glauben, sie hat uns irgendwie leid getan.
Auszüge aus "KARLSHORST" Schule 113, Berlin-Karlshorst, mit Erlaubnis von Pjanow S.
Wladimir Koncedalow "Wir haben uns zufällig kennen gelernt. Es gab neben unserem Haus einen Platz im Park, wo sich Jugendliche trafen. Ich saß mal dort auf der Bank und las ein Buch. Jemand aus der Clique, die vorbeilief, bat mich um eine Zigarette. Als sie mitkrieg- ten, dass ich ein Russe bin, rief ein Mäd- chen ihre Freundin:´ Elsa, Du wolltest ein russisches Mädchen kennen lernen, und hier ist ein Junge, und er sieht gar nicht übel aus! ´ Da kam Elsa und sagte auf Russisch, dass sie gerne russische Sprache lernen möchte. Ich sagte auf Deutsch, dass es gut ist. Da fing sie an, so schnell zu sprechen, dass ich kein Wort verstand. Später habe ich erfahren, dass es im Deut- schen viele Dialekte gibt. Wir lernten Hochdeutsch, und Elsa sprach Sächsisch oder so. Elsa war Studentin des ersten Stu- dienjahres der Technischen Hochschule. Sie musste verschiedene Artikel aus dem Deutschen ins Russische übersetzen und umgekehrt. Gleich auf der Bank half ich ihr beim Übersetzen eines Artikels. Dann gab sie mir ihre Telefonnummer. Wir trafen uns hauptsächlich im Park, aber einmal habe ich sie zu mir nach Hause einge- laden. Als sie das zweite Mal kam, erfuhr
mein Vater davon, brachte mir eine Dienstanweisung und las vor: 'Um das Regime der Geheimhaltung zu gewährleis- ten, wird hiermit angeordnet, die nichtor- ganisierten Kontakte des privaten Charakters des Personalbestandes völlig auszuschließen oder einzuschränken, nämlich Kontakte der Offiziere und ihrer Familienangehörigen mit der einheimi- schen Bevölkerung, die ihrerseits Kontakte mit ihren Verwandten in BRD und mit dem Spionagedienst haben können. Die Kontrolle über die Einhaltung dieser Dienstanweisung sollen die Einheiten der Sonderabteilung und Politabteilung mit Heranziehen der Öffentlichkeit überneh- men.´ Und noch hat mein Vater gesagt, dass schon nicht nur einer, der versucht hat mit einer Deutschen was anzufangen, 24 St. für die Vorbereitungen bekam und irgendwo im Gebiet nördlich des Polar- kreises oder in Kasandshik landete, wo man das Wasser aus dem Brunnen holen musste.Darauf antwortete ich, dass ich nicht vereidigt bin. ´Das betrifft uns alle! Ist das klar?!´- fragte mein Vater. Als ich Elsa davon erzählt habe, hat sie nur gelacht und gesagt, dass wir uns nun bei ihr treffen können."

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