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Das Haus der AlltagsGeschichte in Wittenberg verfügt über eine Sammlung von über 800 Lebensgeschichten Ostdeutscher. Schon 1994 begannen der Trägerverein PFLUG e.V. sogenannte einfache Frauen und Männer nach ihrem Leben in der SBZ/DDR zu befragen. Die ersten Ausstellungen mit den Berichten von Zeitzeuginnen und Zeitzeugen über den Nachkriegsalltag in den Dörfern des Südfläming und in Wittenberg hat PFLUG e.V.  schon 1995 gezeigt. Die Resonanz war außergewöhnlich. Warum? Das Leben der befragten Menschen war plötzlich geschichtswürdig geworden, wo sie doch in den Medien vermittelt bekommen haben „40 Jahre umsonst!“. In seinem Aufruf an Interviewwillige schrieb PFLUG e.V. am 12.02.1994 im Nudersdorfer Amtsblatt: Eigentlich haben Sie mit dem Alltäglichen genug zu tun, an die Zukunft dürfen Sie schon gar nicht denken. Was soll Ihnen da noch die Vergangenheit? Am liebsten würden Sie einen Strich darunter machen? Aber was Sie da in der Zeitung lesen und im Fernsehen sehen, lässt Sie nicht zur Ruhe kommen. Immer wieder bedrängt Sie die Frage: ‚War wirklich alles umsonst? Sollen von meinem Leben im Osten Deutschlands nur *Stasi- und SED- Machenschaften* übrigbleiben? Hat das, was mein Leben noch ausmachte – die Mühren, die Sorgen und Freuden des Alltags, die Arbeit, die Familie und das alltägliche Glück - so gar keinen Bestand vor der Geschichte? Zählt plötzlich nicht mehr, was ich und andere hier geleistet haben unter oft schwierigsten Bedingungen?“. Die Interviews waren die Grundlage für 45 zeit- und alltagsgeschichtliche Ausstellungen und mehrere Publikationen in den vergangenen fast 30 Jahren. Allein über 100 Zeitzeuginnen und Zeitzeugen berichteten 2002/2003 beispielsweise über Flucht, Vertreibung, Integration nach dem II. Weltkrieg, ein in der DDR verschwiegenes Kapitel deutscher Geschichte. Wie von ihnen sind auch von den zu anderen Themen Befragten viele zwar nicht mehr am Leben, aber durch PFLUG e.V. bleiben ihre Schicksale für die Geschichtsforschung und nachfolgende Generationen erhalten. Und dass gerade auch die im Osten Deutschlands lebenden Menschen im Transformationsprozess besonders gefordert waren, hat PFLUG e.V. stets betont. Hier ist vor allem der Abschluss einer Archivierungsvereinbarung mit dem Historischen Datenzentrum Sachsen-Anhalt der Martin-Luther-Universität Halle-Wittenberg zu nennen. Speziell in Hinblick darauf, dass Halle den Zuschlag als Standort für das geplante neue "Zukunftszentrum Deutsche Einheit und Europäische Transformation" bekommen hat, erlangt die Nutzung der zeitgeschichtlichen PFLUG e.V.-Sammlung von Lebensgeschichten aus Mitteldeutschland für die Transformationsforschung durch die Uni Halle noch einmal eine besondere Bedeutung. Gerade auch deshalb, weil diese Interviews im Zeitraum von 1994 bis 2020 im Prozess der Transformation von der Plan- zur Marktwirtschaft im Osten Deutschlands erfasst wurden. Schon 1999 veranstaltete PFLUG e.V. ein mehrtägiges Kolloquium mit 40 Zeitzeuginnen und Zeitzeugen zum Thema „Zehn Jahre ostdeutsche Kompetenz - `Wende´ und zehn Jahre danach in der Lutherstadt & der Region Wittenberg (1989 - 1999)“. Auch in der Ausstellung "Ich glaube, daß auch unsere Fehler und Irrtümer nicht vergeblich sind... (Bonhoeffer)" - Ostdeutsches Leben in Diktatur und Demokratie wurden 2020 Biographien von 12 Frauen und Männern vorgestellt, die die letzten 30 Jahre mit einbeziehen und dabei die Leistung von Ostdeutschen dokumentieren. Schon 1996 entschied sich PFLUG e.V. gerade angesichts der Tatsache, dass in den 1990er Jahren eine Vielzahl von Gedenkstätten zur SED-Diktatur entstanden, der Alltag eines Großteils der DDR-Bevölkerung im geschichtlichen Rückblick jedoch außen vor blieb, bewusst für die museale Darstellung der Kultur und Lebensweise in Mitteldeutschland im 20. Jahrhundert. Der sachliche Umgang mit der eigenen Geschichte so kurz nach dem Zusammenbruch der DDR fand jedoch nicht überall Zustimmung. Eine anhaltende Medienkampagne nach 2000 gegen die beiden Historiker, unter deren Anleitung Laien die PFLUG e.V.-Projekte durchführten, unterstellte die Absicht der DDR-Verglorifizierung. Auch eine artour- Sendung, in der die Redaktion Kampfgruppen in den DDR-Farbfernseher der 1970er Jahre montierte und marschieren ließ, hat seinen Anteil daran. Damals war es legitim, wenn sich westdeutsche Historiker mit dem DDR-Alltag beschäftigten, nicht aber ostdeutsche. Ihnen wurde nicht selten der wissenschaftliche Umgang mit der jüngsten Vergangenheit abgesprochen.  Die Forschungsarbeit der beiden Wissenschaftler, die in den vergangenen Jahren unter den Fittichen der Berlin-Brandenburgische Akademie der Wissenschaften in Wittenberg tätig waren,“ schrieb der damalige Direktor der Akademie und ehemalige Vorsitzende des Wissenschaftsrates der Bundesrepublik Prof. Dr. Dr. h.c. mult. Dieter Simon dazu im Juli 2000 an den Oberbürgermeister der Lutherstadt Wittenberg, „ist mir nicht nur aus schriftlichen Berichten, sondern auch von mehreren Besuchen in Wittenberg wohlbekannt. Eine methodisch fundierte historisch-anthropologische Forschung, die Alltagskultur und Alltagsgeschichte in den Blick nimmt und zugleich ihre Erkenntnisse in verständlicher und anschaulicher Form in die Öffentlichkeit hinein vermittelt, findet man auf diesem Niveau nur außerordentlich selten.“ PFLUG e.V. blieb bei seinem Wissenschafts- und Sammlungskonzept trotz der weiterwirkenden Vorbehalte. Weil die Wenigsten in ihrem Arbeits- und Lebensalltag bewusst mit der Staatssicherheit der DDR zu tun hatten, sucht man vergebens im Museum nach Stasiverhörzimmer mit Gruseleffekt. Dafür findet man Räumlichkeiten wie Kneipe, Konsum, Bar, Kindergarten, Schule und Wohnräume von 1920 bis 1990, Dauer- Sonderausstellungen von „Konsumgüter Made in GDR“ mit diversen elektrischen u.a. Haushaltsgegenstände ebenso wie Radio- und TV-Geräte sowie die ganze Palette von DDR-Fotoapparaten. „Vintage East – DDR-Design“, „Atheismus in der DDR“ und „Wegzeichen- Zeitzeichen – Russen und Deutsche im Alltag in einer mitteldeutschen Region“ gehören zu Schwerpunkten, die das alltägliche Leben in der DDR ausmachten. Und rückblickend auf ihren Lebensalltag haben die Menschen in Ost und West mehr Gemeinsamkeiten, als gedacht. Das wird ihnen im Haus der AlltagsGeschichte in Wittenberg oft bewusst: „Riesiges Glück“, schrieben Besucherinnen und Besucher aus beiden Teilen Deutschland Ende 2022 ins Gästebuch, „einen Geburtstag zu nutzen, um in diesem einmaligen Haus mit so gut durchdachter pädagogischer Konzeption einen Besuch abzustatten. Eine Biographiearbeit, die West und Ost anspricht und verbindet.“  Das bestätigt auch Ingo aus Ostfriesland, der zum dritten Mal hier war und wiederkommen will: „Das ist ein tolles Museum. Ich habe mein Jugendzimmer in Hannover entdeckt – mit Che und Nena und die beste Band der Welt Depeche Mode“, die bei ostdeutschen Jugendlichen genauso beliebt war wie bei westdeutschen. „Einmal durch die Etagen gehen - und die eigene Geschichte entdecken“., empfiehlt Ingo und kommt zu dem Schluss: „Es verbindet uns so so so viel. Gott sei Dank.“ Auffallend oft heben Besucherinnen und Besuchern aus den inzwischen nicht mehr neuen Bundesländern die Authentizität der Ausstellungsgestaltung hervor. Was sie hier im Museum erkennen ist offensichtlich die Tatsache, dass keine Klischees vom Osten reproduziert werden und der Alltag seiner Bürgerinnen und Bürger nicht durch museale „Kunstgriffe“ herabgewürdigt, sondern auf der Grundlage empirischer Kulturwissenschaft/ Volkskunde reproduziert wird. Wie viele andere beeindruckte es ebenfalls Claudia und Heiko aus Sachsen im Sommer 2022: „Ganz große Klasse. Sehr realistisch, gut sortiert u. belebt eingerichtet und mit viel Liebe zum Detail“. „Wir sind überwältigt!“, bekennen angehende Pastorinnen und Pastoren des A-Kurses des Predigerseminars 22/23. „Das Museum und die Ausstellungen sind mit so viel Liebe zum Detail, Texten und Audiobeiträgen gestaltet, dass wir uns alles wunderbar erschließen konnten.“ Und das genau beabsichtigt das Haus der AlltagsGeschichte, dass Besucherinnen und Besucher sich selbst ein lebendiges Bild vom nicht immer leichten Lebensalltag der Menschen in Mitteldeutschland im 20. Jahrhundert machen können, dass keine Klischees über den Osten Vorbehalte verfestigen, sondern dass das Verständnis füreinander zwischen Ost und West wächst.  Mit freundlichen Grüßen Dr. Christel Panzig

Haus der AlltagsGeschichte

Öffnungszeiten: Mi- So: 11:00-17:00 Uhr Feiertags: 11:00-17:00 Uhr Tel: 03491-40 90 04 Adresse: Schlossstraße 6 D-06886 Luth. Wittenberg E-Mail: service@pflug-ev.de     
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Frau Dr. Panzig
Dr. Christel Panzig
zur Entstehungsgeschichte des Museums
GUTACHTEN Prof. Dr. Köhle-Hetzinger 2023
GUTACHTEN Prof. Dr. Dr. Simon 2000
ÜBER DAS MUSEUM
HAUS DER ALLTAGS GESCHICHTE